ich weiß jetzt auch wie es ist, wenn sich ein Stiletto in den Zeh bohrt. Ist nicht so geil. Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln sind scheiße, Menschen sind im allgemeinen eher nichts besonderes.
Sie waren bei ihm gewesen. Als er wieder kam, schlief sie wohl schon, träumte vom nächsten Tag. Der Raum roch nach Liebe, und er öffnete nicht erst die Fenster, sondern setzte sich auf den noch warmen Sessel und starrte leise auf das Telefon. Er sah, wie es roch, das Telefon, nach ihr roch, nach ihrer Stimme, die ihn flüsternd umarmte und ihm vorher noch auf der Haut gelegen hatte und Buchstaben um Buchstaben zeichnete und ihn Atemzug um Atemzug zerlegte, ihn flüsternd tötete, bis er sich nur noch auflösen konnte.
Er saß und dachte an ein später und ging zum Fenster, öffnete es und suchte ihre Stimme im warmen feuchten dunklen Wind. Legte sich zu ihr und wollte nie wieder freigelassen werden, flüsterte drei Worte und zwei Punkte.
Wieder warten. Warten bis es schwarz vor den Augen wird, schwarz wie Vinyl, das still krachend das Streichen der Nadel hinnimmt. Nie endende Drehungen um einen in trauter Schwärze vernadelten Gedanken, und es spielt keine Rolle, ob die Geschwindigkeit der Drehungen noch bei 33 1/3 liegt oder schon bei 45 angekommen ist, die Richtung ändert sich nicht. Wir wechseln die Platten, wir wechseln die Nadeln, wir schalten ein, die Drehung kommt, wir schalten aus, die Drehung vergeht nicht, sie lauert schon längst in deinem Ohr und wartet auf das Streichen der Nadel, die da irgendwann mal jemand in deinem Kopf justiert hat, aber wahrscheinlich bist es nur du selbst gewesen und bildest dir nur zu gerne ein, dass ein anderer, eine andere einst die Schwärze deiner Kreise jemals verstanden hat und sie irgendwann vielleicht sogar einmal mit sachter Hand berührte.
(wir sehen hier Blumfelds Distelmeyer als playbackenden Kamerun, auf Economy Class)
Von Blumfeld ist es alldieweil gar nicht weit zu den Goldenen Zitronen zu flanieren. Senor "Kamerun", mit vollem Namen "Schorsch Kamerun", Herrn "Kamerun" und seinen Jungs und Mädchen beliebt es seit geraumen Zeiten unser schönes dickes D zwischen Rhein und Oder mit verjazzten Punkliedchen zu beschallen, deren Texte sich überaus politisierend und unkaderhaft des deutschen Politpornos und seiner Medialisierung annehmen.
Polemisch auch und auch intellektuell wegen benachbarter Hamburger Schule und so, das ist halt so bei denen. Aber groß tönende Sätze wie "Pack die Lichterkette ein, nimm dein kleines Schwesterlein" aus dem Titelstück "Das bisschen Totschlag" oder auch die Wortspielerei "ein zerfetzter Schleyer" aus dem RAF-thematisierten "6 gegen 60 Millionen" sind nun mal in Tönen verpackt, die tatsächlich groß sind. Und die bleiben immer besser.
Der Frühling war sehr kurz, und der Sommer geht mir jetzt schon zu weit. Kopfschmerzen, allergiebedingt wahrscheinlich, plaudern seit gestern in der Früh lebhaft in meinem Oberstübchen und schauen mir belustigt beim Existieren zu. Möglicherweise bin ich aber auch nur allergisch gegen mich selbst, verübeln könnte ich es mir nicht.
Musik ist nicht aggressiv, ich vergaß. Sie wird wenn überhaupt in aggressiver Pose vorgetragen, ich glaube darauf kann sich geeinigt werden. Jedoch auch nur eine Wahrnehmungsfrage, daher müßig.
Zwei Jahrzehnte später gibt es erstaunliches zu entdecken: Arto Lindsay ist blond und trägt eine amtliche Brille.
Ein bis zwei Jahrzehnte später macht er sehr hübsche Platten, Noon Chill, Prize, und Invoke wären zu nennen, jedem Nerd und DeBug-Leser eine Freude, gefällig und vertrackt, schon auch akademisch und schon auch immer noch indie genug dabei. Arto ist nämlich in Wahrheit Punk und hängt gerne mit John Zorn und Bill Laswell und den ganzen anderen ollen New York City-Indie-Jazzern ab und früher war er Teil der nun wahrlich über jeglichem Diskurs stehenden DNA. Wenn das nichts ist.
Und mal wieder überlege ich nach Kreuzberg zu ziehen, als ich am Görlitzer Bahnhof in den alten linken Westen Berlins eintauche, weil ich am vorigen Abend mein Telefon auf dem Sofa liegengelassen habe. Oder es ist mir durch das Hosenbein entglitten, das passiert auch manchmal, wegen der Löcher in den Taschen, jedenfalls habe ich keine Erinnerung daran.
Jedenfalls ist es immer ein Unterschied durch Kreuzberg und überhaupt durch Westberlin zu spazieren, weil einem dort, im Westen, nicht nur Deutsche, Russen und eingeostete Vietnamesen begegnen. Es gibt dort, im Westen, Menschen aus exotischen Ländern, die Türkei oder Portugal heißen, und sie leben auch dort, im Westen. Tagsüber fahren manche von ihnen in den Osten, wo sie in kleinen Läden Tabakwaren und Naschzeugs verkaufen und abends kehren sie wieder zurück nach Moabit oder Neukölln, weil sie dort vor vierzig Jahren verwurzelt worden sind, wie die Vietnamesen im Osten der Stadt.
Manchmal will ich hier weg, weil es mir zu ostig ist, zurück nach Westdeutschland, das gleich hinter der Oberbaumbrücke beginnt, nachdem man sich zwanzig Minuten mit der M10 durch Prenzlhain gequält hat, das sich doch so weltoffen gibt und mir in seiner konstruierten Paradisiät doch immer fremd bleiben wird.
Bin aber letztendlich zu bequem, dort unten ist der Kaffeeladen und dahinten wohnt die und dort der, bei denen ich mal eben vorbeigucken kann und da sind vele kleine Plätze und Dinge, die ich missen würde, wenn ich dann wieder Westdeutschland hinter der Oberbaumoberbrücke wäre.
Auf der Wiener Straße ein Déjà Vu, die Frisbeescheibenfrau mit Hund vor drei, vier Jahren im Park, nun ohne Frisbeescheibe. Vielleicht ist es ihr auch zu ostig geworden und vielleicht ist sie es auch gar nicht, und ich gehe weiter und hole mein Telefon, und eine halbe Stunde später kaufe ich in einem arabischen Einraumsupermarkt eine Dose Hundefutter und kippe es auf die Straße, weil die kleine noch nichts gegessen hat. Einer will schon was sagen, aber sie leckt den Beton doch so schön blitzblank, nichts bleibt übrig, also guck nicht so blöd.
Ein paar Straßen weiter dann sonniger Spreeblick mit Oberbaumbrückenpanorama, vor dem Menschen gegenseitig Fotos machen und lachen und sich gern haben.
Und ich, ich überquere mal wieder die Spree und gehe noch ganz bis zum Frankfurter Tor, wo aus der Karl-Marx-Allee die Frankfurter Allee wird und finde die M10 gerade gar nicht so schrecklich und weiß noch nicht, dass ich in der nächsten Nacht aus dem Fenster einer Kreuzberger Kneipe auf einen LKW schauen werde, auf dem der Name Lehmann gechrieben steht. Lehmann, mit Ausrufezeichen.
Anstelle des Auftragens von Lipgloss bietet sich durchaus auch das Lupfen der Lippen an. Und lassen Sie es sich gesagt sein, die Wirkung ist bedeutend langanhaltender. Oder ganzheitlicher, je nach gefühlter Philosophie.
Und wie auch immer, wenn lupfende Lippen erst einmal wippende Lippen geworden sind, lesen sich Lippen wie von selbst.